1932 Dresden
Modern | Post War | Contemporary
am
06.06.2024,
Los
35
Taxe: € 200.000
Ergebnis: €
257.400
(inkl. Aufgeld)
RICHTER, GERHARD
1932 Dresden
Titel: Grau.
Datierung: 1973.
Technik: Öl auf Leinwand.
Maße: 50 x 70,4cm.
Bezeichnung: Signiert und datiert verso mittig: Richter 73. Zudem verso oben auf dem Keilrahmen mit der Werknummer versehen: 342/6.
Rahmen/Sockel: Rahmen.
Die Arbeit ist auf der offiziellen Internetseite des Künstlers unter der WVZ.-Nr. 342-6 aufgeführt. (www.gerhard-richter.com)
Provenienz:
- Galerie Luc van Middelem, Knokke
- Privatsammlung Belgien
- Privatsammlung Deutschland
Literatur:
- Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Gerhard Richter, Werkübersicht/Catalogue Raisonné 1962-1993, Bd.III, Ostfildern-Ruit 1993, WVZ.-Nr.342-6, S.165, Abb.
- Ausst.-Kat. Gerhard Richter, Bilder 1962-1985, Städtische Kunsthalle Düsseldorf, Köln 1986, S.383
- Gerhard Richter führt seit 20 Jahren die Spitze des Kunstrankings im "Kunstkompass" an
- Die Farbe Grau nimmt einen hohen Stellenwert in seinem Oeuvre ein
- Schönes, frühes Beispiel für Richters intensive Beschäftigung mit der Farbe Grau, die ihn zur Abstraktion führte
"Grau ist doch auch eine Farbe, und manchmal ist sie mir die wichtigste."
(Gerhard Richter zit. nach "Interview mit Rolf Schön 1971", in: Elger, Dietmar/Obrist, Hans Ulrich (Hrsg.
), Gerhard Richter. Text 1961 bis 2007, Köln 2008, S. 59ff., hier S. 61.
"Sicher kommt das Grau auch von den Fotobildern und es hat natürlich auch damit zu tun, dass ich das Grau für eine wichtige Farbe halte, die ideale Farbe für Meinungslosigkeit, Aussageverweigerung, Schweigen, Hoffnungslosigkeit. Also für Zustände und Aussichten, die einen betreffen und für die man ein Bild finden möchte."
(Gerhard Richter zit. nach "Interview mit Jan Thorn-Prikker 2004", in: Elger, Dietmar/Obrist, Hans Ulrich (Hrsg.), Gerhard Richter. Text 1961 bis 2007, Köln 2008, S. 474-492, hier S. 491.)
Die Anfänge
Grau verbindet sich wie kaum eine andere Farbe mit dem Werk Gerhard Richters. Sie bestimmt schon den unscharfen Fotorealismus früher Gemälde, die nach seiner DDR-Flucht ab Anfang der 1960er Jahre in Düsseldorf entstehen. Es sind gefundene Abbildungen aus Illustrierten, damals noch in Schwarz-weiß gedruckt, die Richter als Vorlagen für seine Gemälde dienen, bevor er zunehmend eigene Fotografien verwendet. Seit Mitte der 1960er Jahre taucht Grau auch in den sogenannten "Farbtafeln" erstmals als monochrome Flächen auf, die Richter nach standardisierten Lackmusterkarten aus dem Handel malt. Aus der intensiven Beschäftigung mit Farbe und ihrer ausdifferenzierten Verwendung entwickelt der Künstler eine eigene Systematik, die auf den drei Grundfarben plus Grau basiert und die er bis in die Gegenwart weiterführt. Ihr berühmtestes Beispiel ist das monumentale südliche Querhausfenster des Kölner Doms, das sich aus einem Raster von 11.250 Glasquadraten in 72 Farben zusammensetzt.
Richters Farbtafeln der 1960er Jahre, für die er industrielle Emaillefarbe verwendet, bestehen aus unterschiedlich vielen Farbfeldern, die je nach Proportion des Bildes und Anzahl der Farbfelder rechteckig oder quadratisch angelegt sind. In diesen Feldern setzt Richter Grau in Beziehung zu anderen Farbtönen, die in Sättigung und Tonalität variieren - beginnend mit "Zehn Farben" in abgemischten Primärfarben und Grau sowie "Zwölf Farben" (beide 1966), die ausschließlich aus Grautönen bestehen und in zwei Reihen von je sechs Farbfeldern angeordnet sind.
Frühe graue Bilder
1967 und 1968 experimentiert Richter erstmals in einer Reihe kleinformatiger grauer Bilder mit unterschiedlichen Oberflächentexturen: Rolle, Pinsel, wellenförmige und reliefartig pastose Farbaufträge erzeugen sehr unterschiedliche Bildwirkungen. Zu den ersten eigenständig monochrom grauen Bildern zählt auch das "Stadtbild M 8 (grau)" aus dem Jahr 1968, das Richter übermalt. Alternativ zu einer fotorealistischen Auftragsarbeit für den Sitz der Siemens AG in Mailand hatte der Künstler eine Luftaufnahme des norditalienischen Domplatzes mit umliegenden Straßenzügen in flächig aufgetragenen Schwarz-, Weiss- und Grautönen gemalt. Da er das Bild als misslungen empfand, entschied er sich zu einer Bearbeitung, die dem Prinzip der rasterartigen Farbtafeln ähnlich ist: Er zerschnitt das Gemälde in neun gleichgroße Teile, so dass sich daraus drei mal drei nahezu quadratische Einzelbilder ergaben. Die grobe oder vereinfachte Übertragung der Straßenzüge, Gebäude und Plätze aus der Vogelperspektive erzeugt eine eigenartige Morphologie des städtischen Raumes, die sowohl als gewaltsame Zerstörung oder als kartographische Erfassung ihrer Struktur lesbar ist. Im Kontext der Bildgruppe scheint es, als könne man unter der grauen Farbfläche die einstigen Fassaden und Fluchten noch herauslesen.
Assoziative Landschaften
Nach den eher skizzenhaft und grobflächig gemalten Stadtbildern, atmosphärischen farbigen Landschaften und bewegt-welligen Seestücken greift Richter Grau als Bildthema 1970 wieder auf. Teils wirkt es so als hätte er mit den Fingern gemalt - wie in dem großformatigen Diptychon "Fingerspuren (mit Palermo)" - ebenfalls aus dem Jahr 1970. Es sind unruhige, physische Bilder, die energetisch aufgeladen wirken. Ihr rastloses Mäandern der strichförmigen Pinselführung kommt vor allem in den grün-braunen "Parkstücken" zum Tragen, die dann in abstrakte "Vermalungen" übergehen. In den grauen Bildern, die darauf wiederum ab 1972/73 folgen, wirken sowohl die Palette der Landschaften als auch das Flirrende der "Vermalungen" nach.
Richter selbst erklärt in einem Gespräch mit Nicholas Serota zu Beginn der 2010er Jahre, dass ihn die Unterschiede zwischen den verschiedenen Graus, die er mal als bessere, mal als schlechtere wahrnehme, derart faszinierte, dass er begonnen habe, mehr mit dieser Farbe zu malen. Die illusionistische Anmutung der grauen Bilder bringe sie in die Nähe von Landschaften oder Himmeln und Wolken, die es gar nicht gäbe. So betrete man Orte, an denen man noch nie gewesen sei. (Gerhard Richter zit. nach "Ich habe nichts zu sagen, und ich sage es. Gespräch zwischen Gerhard Richter und Nicholas Serota, Frühjahr 2011", in: Godfrey, Mark/Serota, Nicholas/Brill, Dorothée/Morineau, Camille (Hrsg.), Gerhard Richter. Panorama, München 2012, S. 15-27, hier S. 19.)
Die Assoziation einer Landschaft stellt sich auch im Bild "Grau", wie hier abgebildet, ein. Es ist das sechste Gemälde einer Bildgruppe von insgesamt neun Gemälden, die alle das gleiche querrechteckige Format besitzen. Die feine, quer verlaufende Struktur der Farbschicht ruft unweigerlich die Vorstellung eines Horizonts auf. Richter selbst sagt in einem Interview im Jahr 2004, dass er immer wieder graue Bilder male, da dies fortgesetzte Versuche seien, das richtige Grau entstehen zu lassen. (Gerhard Richter zit. nach "Interview mit Jan Thorn-Prikker 2004", in: Elger, Dietmar/Obrist, Hans Ulrich (Hrsg.), Gerhard Richter. Text 1961 bis 2007, Köln 2008, S. 474-492, hier S. 491.) So ist es nur folgerichtig, dass graue Bilder ab den 1970er Jahren wiederholt in Serien von zwei, drei, acht und mehr Gemälden in zunehmend größeren Formaten entstehen, innerhalb einer Bildgruppe jedoch meist gleiches oder nur leicht abweichendes Maß besitzen.
1974 zeigt Johannes Cladders, Leiter des Städtischen Museum Mönchengladbach, in einer Einzelausstellung ausschließlich "Graue Bilder" Richters. In späteren Jahrzehnten verwendet der Künstler Grau auch in Arbeiten aus farbig beschichtetem Glas wie beispielsweise in "Grauer Spiegel" (1992), "Acht Grau" (2001) oder "Doppelgrau" (2014).
Gerhard Richter zählt mit seinem mehrere Tausend Werke umfassenden Schaffen zu einem der international bedeutendsten und einflussreichsten Künstler*innen seiner Zeit. Im Deutschen Pavillon der Biennale Venedig zeigt er 1972 die umfangreiche Gemäldeserie "48 Portraits". Zwischen 1972 und 2017 nimmt er an acht documenta-Schauen in Kassel teil. Seine Werke sind weltweit in bedeutenden privaten und institutionellen Sammlungen vertreten. Richters intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, insbesondere den Verbrechen des Nationalsozialismus oder den Geschehnissen im Deutschen Herbst, machen ihn zu einem epochalen Künstler, der fern jeden Stils immer neue bildnerische Mittel einsetzt, um Gegenwart vor dem Hintergrund ihrer historisch gewachsenen Verantwortung zu reflektieren.
Robert van den Valentyn
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