1941 Oels/Niederschlesien - 2010 Köln
Modern | Post War | Contemporary
am
27.11.2024,
Los
2
Taxe: € 50.000
POLKE, SIGMAR
1941 Oels/Niederschlesien - 2010 Köln
Titel: Ohne Titel.
Datierung: 1972.
Technik: Gouache auf Papier.
Maße: 99 x 69,5cm.
Bezeichnung: Bezeichnet von fremder Hand verso unten links: Sigmar Polke 1972 Mischtechnik/Papier.
Rahmen/Sockel: Rahmen.
Wir danken Herrn Michael Trier, Köln, für die freundliche Unterstützung.
Provenienz:
- Privatsammlung Rheinland
-Sigmar Polke ist einer der einflussreichsten deutschen Nachkriegskünstler und dreifacher documenta Teilnehmer
-Vielschichtiges Werk, das eindrücklich Polkes Experimentierfreude und Eklektizismus veranschaulicht
-Feinsinnig erfasste erotische Figurenkonstellation in zarten kalligrafischen Konturen
Lustvoller Eklektizismus
Das umfangreiche Oeuvre von Sigmar Polke umfasst Malerei, Arbeiten auf Papier, Fotografie, Film, Objekte und Grafik. Keiner einzigen Gattung verpflichtet, herrscht in seinem künstlerischen Schaffen Experimentierfreude und der freie, von jeglicher Konvention gelöste Umgang mit Medien und Materialien vor. Seine professionelle Beschäftigung mit Kunst begann Polke mit einer Lehre als Glasmaler und setzte sie in einem Studium bei Gerhard Hoehme und Karl Otto Götz an der Kunstakademie Düsseldorf fort.
Zusammen mit Manfred Kuttner, Konrad Lueg und Gerhard Richter organisierte er in dieser Zeit eine erste öffentliche Ausstellung, die in demonstrativer Opposition zum Sozialistischen Realismus mit dem Begriff "Kapitalistischer Realismus" operierte. Eine subversive Haltung einnehmend, betrieben die Kommilitonen die humorvolle Demontage sämtlicher Klassifizierungen von Kunst, wie sie in dem programmatischen Satz formuliert wurde: "Wir zeigen erstmalig in Deutschland Bilder, für die die Begriffe wie Pop-Art, Junk Culture, imperialistischer oder Kapitalistischer Realismus, neue Gegenständlichkeit, Naturalismus, German Pop und einige ähnliche kennzeichnend sind." (ZADIK (Hrsg.): Ganz am Anfang /How it all Began: Richter, Polke, Lueg & Kuttner, Verlag für Moderne Kunst, 2004, Typoskript, S. 72)
Ausgehend von diesem provokanten Ansatz, der etablierte Gewissheiten des Kunstbetriebs lustvoll hintertreibt, verschreibt sich Polkes Werk einem eigenwilligen Eklektizismus. Der Künstler eignet sich etwa medial verbreitete Bilder an, um sie, entkontextualisiert, einem Bedeutungswandel zu unterziehen. Dabei unterscheidet er nicht zwischen High und Low, seriösem oder unterhaltendem Anspruch der Informationsquelle. Vielmehr egalisiert er das visuelle Material aus Nachrichtensendungen, Fernsehshows, Werbung, Comics. Ohne Scheu kombiniert er Pop, Politik und Porno, verquickt Werke der klassischen bildenden Kunst mit Stoffmustern, relativiert und nivelliert somit Aussagen verschiedener Bildsprachen. Vielfache Reproduktion und die daraus resultierende Banalität und Beliebigkeit sind bewusst eingesetzte Mittel und Wirkungsweisen, um die in den Vorlagen vermittelten konservativen Ideale und Vorstellungen ironisch zu entlarven und zu brechen. Dabei setzt sich Polke verstärkt mit dem Mythos Kunst auseinander, dem er mit Schalk und Schabernack begegnet, um die hehren Werte und die Rolle des Künstlers, vor allem den Geniekult, ad absurdum zu führen. Sein Sinn für Komik und Klamauk lässt ihn das Kunstwerk mal als Schöpfung höherer Wesen, mal als Zauberei, als Spuk oder alchimistischen Akt darstellen.
Verfremdende Unschärfe und flüchtige Figürlichkeit
In den 1970er Jahren befasst sich Polke eingehend mit Fotografie, um Möglichkeiten bildnerischer Transformation zu erforschen. 1972, im Jahr seiner Teilnahme an der documenta 5, veröffentlichte er gemeinsam mit Klaus Staeck anlässlich der Bundestagswahl das Künstlerbuch "Bizarre". In einfachem Plastikeinband enthält es eine Sammlung übermalter Wahlplakate, die Polke in Köln und Düsseldorf aufgenommen hatte.
Die 1972 entstandene Arbeit auf Papier "Ohne Titel" steht in engem Bezug zu Polkes Fotografien, in denen Unschärfe als bildbestimmendes und -verfremdendes Element eingeführt wird. Zugleich greift das Werk Elemente der Plakatkunst auf und vereint malerische und zeichnerische Bereiche in drei sich durchdringenden Schichten. Der zweifarbige Hintergrund besteht als durchgehender Rapport aus roten und schwarzen diagonalen Bahnen von unregelmäßiger Breite. Sie werden bedeckt von matten, milchigen Schlieren, aus der die zarten Konturen der erotischen Figurenkonstellation schemenhaft in Erscheinung treten. Dieser wie ein gestisches All Over über die Fläche ausgebreitete kalkige Schleier erinnert an die Wischspuren eines Schwammes auf einer Schultafel. Der dadurch entstandene Effekt bewirkt sowohl Transparenz als auch Trübung und betont zugleich die Flüchtigkeit der mit wenigen Strichen ausgeführten, kalligrafisch anmutenden Zeichnung, deren umrissbetonte Figürlichkeit auf die Comicsprache verweist. In der Verschränkung verschiedener Stilzitate wird die multimediale Vorgehensweise von Polke zugunsten der Vieldeutigkeit des Bildes deutlich
Bettina Haiss.
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