Im 18. Jahrhundert waren die Straßen der großen europäischen Städte erfüllt von den häufig in Reim- oder Liedform vorgetragenen Rufen unterschiedlicher Händler und Handwerker, die ihre Waren und Dienste feilboten. Ihr Angebot richtete sich zumeist an Mitglieder derselben niedrigen sozialen Klasse, sodass der Lohn gering, die Konkurrenz zahlreich und das Leben oft hart war. Die Ausrufer waren ein beliebtes Motiv in der Kunst, sei es aufgrund ihrer vom Leben gezeichneten Gesichter oder einer romantisierenden Wahrnehmung ihrer Lebensweise.
Auch in Meißen versuchte man sich an diesem Sujet. In den frühen 1750er Jahren reiste Johann Joachim Kaendler im Auftrag Augusts III. nach Paris und traf dort auf J. Hüet, den wichtigsten Pariser Händler für Meissener Porzellan. Bei dieser Gelegenheit lernte er dessen Bruder Christophe kennen, einen bekannten Kupferstecher und Dekorationsmaler. Kaendler beauftragte ihn mit einer Serie von 31 Vorlagenblättern mit Pariser Ausrufern im für die Zeit typischen Stil des Rokoko. Bis heute werden diese Federzeichnungen im Archiv der Meissner Manufaktur aufbewahrt.
Mit 35 Modellen bilden die „Cris de Paris“ die größte Folge themengleicher Figuren im Programm der Manufaktur. Auf mit Gold dekorierten Rocaillesockeln gehen die in den zarten Farben des Rokoko gewandeten Händler ihrer Arbeit nach. Die meisten Modelle stammen von Peter Reinicke. Gleichwohl geben einige der Figuren Kaendlers Handschrift zu erkennen. Offenbar hat er Reinicke bei dessen Arbeit unterstützt oder Modelle im Nachhinein überarbeitet.
Allerdings beziehen sich nicht alle Ausrufer auf die von Hüet gelieferten Vorlagen. Manche der fein ausgearbeiteten Figuren sind an Darstellungen von Boucher oder Watteau angelehnt, andere wiederum entsprangen wohl der Fantasie ihrer Modelleure. Mit der Hinwendung zu alltäglichen Darstellungen, wie sie auch mit den Ausrufern vor Augen gestellt werden, wandte sich die Meissner Manufaktur an ein zunehmend bürgerliches Publikum.
Kurz vor dem Ausbruch des Siebenjährigen Krieges war diese Neuorientierung ausschlaggebend für den späteren wirtschaftlichen Erfolg der Manufaktur, deren Produkte zunehmend für ein breiteres Publikum zugänglich wurden.