1866 Hamburg - 1926 Avon
Fine Art
am
17.05.2024,
Los
1175
Taxe: € 20.000
Ergebnis: €
26.400
(inkl. Aufgeld)
SCHWABE, CARLOS1866 Hamburg - 1926 Avon
Titel: "L'heure du faune".
Datierung: 1920.
Technik: Rötel und schwarze Kreide auf Papier.
Montierung: Auf Leinwand kaschiert.
Maße: 110 x 145cm.
Bezeichnung: Signiert und datiert unten rechts: "1920 / Carlos Schwab".
Rahmen: Rahmen.
Gutachten:
Jean-David Jumeau-Lafond, Paris 02.10.2018.
Provenienz:
Alarik d'Ornhjelm (Bruder von Ombra d'Ornhjelm, der zweiten Frau des Künstlers);
Privatbesitz, Deutschland.
Ausstellung:
Genf, Galerie Moos, Carlos Schwab, 1920, Nr. 26 (als "L'heure du faune");
Paris, Galerie Georges Petit, Exposition rétrospective Carlos Schwab, 1927, Nr. 47 (als Rötelzeichnung und Alarik d'Ornhjelm gehörend).
Literatur:
L. Dunand: Carlos Schwab à Genève. In: Tribune de Genève, 24. März 1920.
Gewaltig, urtümlich und erschreckend nah eilt er an uns vorüber. Ein Faun, wie der Titel des Bildes sagt. Sehr ähnlich dem Gott Pan höchst selbst. Er ist versunken in sein Flötenspiel. Sein Blick ruht auf dem Instrument; er hat uns bisher nicht gesehen. Besser auch, er bemerkt uns nicht. Die Reaktionen solcher mythologischen Naturwesen sind nicht vorhersehbar.
Die sommerliche Landschaft, die das Wesen durchstreift, liegt friedlich ausgebreitet vor uns.
Das Gelände fällt zum Horizont hin leicht ab. Eine Baumgruppe im Mittelgrund und ein junger Eichenstamm am linken Bildrand sind die einzigen Landmarken in dieser wogenden, blühenden Graslandschaft. Der menschengleiche Oberkörper des Fauns zeigt bis zur Mitte der Oberschenkel nackte Haut. Seine unteren Extremitäten sind behaart und enden in Paarhufen, korrespondierend zu dem Widdergehörn auf seinem Kopf. Der behaarte Hoden des Wesens ist zu sehen und bei genauer Betrachtung auch der Phallus im Dickicht der Scham. Der Faun steht in der arkadischen Natur für die ungezügelte Begierde, Virilität und Lust, und ist aus dieser Perspektive in seiner ganzen Körperlichkeit erfasst.
Carlos Schwabe (auch Schwab), der diese beeindruckende Arbeit schuf, hat den sinnlichen Faun mehrfach zum Thema erwählt. Erstmals nachweisbar begegnet er in eben dieser vorgebeugten Haltung 1905/1908 als Randfigur in einer Buchillustration. Dort, allerdings mit einem Schafskopf ausgestattet, beobachtet er das Liebesspiel eines jungen Paares und begleitet die Szene mit dem Spiel seiner Pan-Flöte.
Das vorliegende, 1920 datierte Blatt ist wohl die erste Version, in der Schwabe den Faun als autonome, formatfüllende Figur darstellt. Er zeigt ihn als ein schon gealtertes Wesen, mit einer letzten verbleibenden, hellen Haarsträhne auf dem ansonsten kahlen Kopf. Jünger stellt der Künstler den mythischen Kerl im Jahr 1923 nochmals dar.
Eine kleinere Version im Kunsthandel und eine weitere, in ähnlicher Größe wie die hier vorliegende Arbeit, zeigen den Faun mit dichtem, dunklem Haupthaar, der durch ein gänzlich baumloses Getreidefeld eilt. Faun, Pan und die weiblichen Entsprechungen, die Nymphen und Najaden waren als urtümliche, ungebändigte Naturwesen über alle Kunstgattungen hinweg, im 19. Jahrhundert häufig dargestellte Motive - speziell in der symbolistischen Kunst. Wegen seiner "fabelhaften", nicht greifbaren Wesenheit, seiner Stellung als Zwitterwesen und seiner, der Natur folgenden Triebhaftigkeit wurde der Faun von den Künstlern dieser Stilrichtung immer wieder dargestellt. Unter anderem Heinrich Füssli, Arnold Böcklin und Franz von Stuck haben wiederholt Faune gemalt. In Frankreich ist besonders Stéphane Mallarmées 1876 veröffentlichtes Gedicht "L'après-midi d'un faune", dessen Vertonung durch Claude Débussy (1894) und seine Umsetzung als Ballett (1912) durch die "Ballets Russes" bekannt. Auch der Dichter und Kunstkritiker Tristan Klingsor veröffentlichte 1913 in Paris ein Gedicht unter dem Titel "L'heure du faune".
Carlos Schwabe war einer der bedeutendsten Künstler und Illustratoren des Symbolismus in Frankreich. 1866 in Altona bei Hamburg geboren, wuchs er in Genf auf. Nach seiner Ausbildung ging er 1884 nach Paris, arbeitete zunächst überwiegend im Bereich der angewandten Kunst und entwarf Tapeten, Stoffmuster und Fayencen. Bald fand Schwabe Anschluss an einen Kreis symbolistischer Maler, Musiker und Literaten, entwarf ab 1892 Plakate. Schwabe machte sich einen Namen als Illustrator von Büchern und Zeitschriften, z.B. für Emil Zola, Maurice Maeterlincks oder Charles Baudelaire. Aber Carlos Schwabe schuf auch autonome Kunstwerke. Wiederholt stellte er im Salon der "Société des Beaux arts" aus; er vertrat 1900 bei der Pariser Weltausstellung die Schweiz und wurde für sein Werk mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. 1901 wurde er in Anerkennung seiner künstlerischen Leistung zum Mitglied der Französischen Ehrenlegion ernannt.
Dieses Spätwerk Carlos Schwabes ist eine außergewöhnlich großformatige Rötel- und Kreidezeichnung. Die reduzierte Farbigkeit scheint die Intensität des Geschauten zu erhöhen, in Effekt, der von manchen Grisaillen oder besonders gelungenen Schwarz-Weiß-Fotografien bekannt ist. Der brillante Zeichner Schwabe demonstriert mit reduzierten Mitteln seine absolute Könnerschaft.
Schwingt ein wenig Melancholie mit im Flötenspiel des alten Faunes, wie er im Schein der schon tief stehenden Sonne durch die Wiese schreitet? Der leichte Dunst, der über der Landschaft liegt und die samtene Oberfläche, die die Zeichnung ausmacht, vermitteln die vollkommene Harmonie, in der dieses Urwesen mit der ihn umgebenden Natur lebt.
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516. Fine Art,
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17.05.2024,
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